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(Oktober 2025) Demokratie – Juchhu!
Zwei Mitarbeitende von Medico International veröffentlichten einen Gastbeitrag aus Anlass der zehnjährigen Wiederkehr des "Sommers der Migration" im Herbst 2015. Sie erinnern an den damit in Zusammenhang stehenden Rechtsruck in der Gesellschaft, die zahlreichen Pushbacks an den europäischen und deutschen Grenzen und fordern Solidarität mit Menschen, die auch ohne entsprechende Erlaubnis einwandern wollen. Gegen Ende des Artikels heißt es: "Die Verteidigung von Migration und Bewegungsfreiheit ist die Verteidigung von Demokratie. "
Wie immer man zur Frage der Legitimität illegaler Einwanderung stehen und wie sehr man mit der Idee globaler Freizügigkeit sympathisieren mag, – eines scheint mir doch gewiss zu sein: Mit der Verteidigung eines solchen Rechts verteidigt man nicht die Demokratie, sondern schwächt sie, macht sie tendenziell unmöglich.
Demokratie ist auf eine Unterscheidung von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit angewiesen. Denn jede Zuwanderung führt unweigerlich zu einem Dilemma: Entweder die einheimische Bürgerschaft betrachtet die Migranten als Untertanen, die von jeder politischen Partizipation ausgeschlossen sind, oder sie betrachtet Migranten als Mitbürger mit vollen Partizipationsrechten. Im ersten Fall wird die Demokratie zu einer kollektiv ausgeübten Autokratie, im zweiten Fall wird das Gewicht jeder einzelnen Stimme an der Wahlurne durch das Anwachsen der Stimmberechtigten so abgeschwächt, dass von Partizipation im Sinne von Selbstwirksamkeit keine Rede mehr sein kann. Beides ist jedenfalls nicht demokratisch.
Freilich muss man unter Demokratie ja nicht unbedingt die Herrschaft der Bürger über sich selbst verstehen. Man kann das Wort auch als bloße Interjektion verstehen wie "juchhu", "gut" oder "geil". Dann macht der zitierte Satz natürlich Sinn.
(September 2025) Abschaffung des Eigentums an Grund und Boden
Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, will sich von einem Teil seines Wohnungsbestandes in Frankfurt trennen und führt zu diesem Zweck Verkaufsverhandlungen mit privaten Wohnungsunternehmen. Die Mieter fürchten wohl zu Recht, dass das für sie Entmietung, Mietsteigerung und überhaupt Ausgeliefertsein an private Kapitalinteressen bedeutet.
Was wir bräuchten, wäre ein Gesetz, dass es Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich verbietet, Immobilien an Private zu veräußern, so dass als Käufer nur gemeinnützige Genossenschaften, öffentlich-rechtliche Träger oder kommunale Wohnungsbaugesellschaften in Frage kommen.
Noch besser wäre es, wenn man das Eigentum an Grund und Boden überhaupt abschaffen, den Grund zum öffentlichen Gut erklären und in die Verwaltung der Kommunen geben würde. Entschädigungen müssten dafür nicht gezahlt werden, denn es würde sich nicht um eine Enteignung im Sinne des Artikels 14 Absatz 3 GG, sondern nur um eine Inhaltsbestimmung im Sinne des Artikels 14 Abs. 2 GG handeln. Die Kommunen könnten dann Bebauungs- und andere Nutzungsrechte im Wege von Erbpachtverträgen auf Zeit und unter gemeinwohlorientierten Auflagen gewähren.
Auf diese Weise wäre eine Jahrtausende währende Fehlentwicklung korrigiert, die darin besteht, dass einige auf Kosten aller anderen Einwohner eines Gebietes gewaltsam die Sachherrschaft über den Boden an sich gerissen und dann als privates Eigentum behauptet haben.
(September 2025) Solidarität mit vergangenen Generationen
Navid Kermani bemerkt in seinem Buch über eine Reise durch Ostafrika, dass die Bundesrepublik mehr als andere frühere Kolonialmächte bereit sei, Entschädigungsabkommen zu schließen und Kunstwerke zurückzugeben. Die Restitution der menschlichen Überreste, die sich noch in den Magazinen deutscher Museen befinden, werde dagegen, obwohl für die Nachkommen am dringlichsten, eher zögerlich oder gar nicht angegangen. Wir dächten bei Wiedergutmachung, so Kermani, an das, was uns selbst am wichtigsten sei, nämlich erstens Geld und zweitens Kunst. Wie elementar für die Menschen in Afrika die Knochen (häufig Schädel) ihrer Vorfahren sei, falle uns schwer zu begreifen.
Es geht diesen Menschen um das Seelenheil ihrer Vorfahren, für das eine würdige Bestattung im heimischen Boden unverzichtbar ist. Sie üben also Solidarität mit ihren Ahnen. Ist uns die Idee einer Solidarität mit den Ahnen wirklich so völlig fremd?
Ich denke in diesem Zusammenhang an die Rede davon, dass die Existenz und Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei. Man kann das als Ausdruck der Solidarität mit Israel verstehen. Aber echte Solidarität beruht auf einem Lebensgefühl der Zugehörigkeit. Liegt es da nicht näher, hier eine Solidarität mit den eigenen Vorfahren zu erkennen, mit jenen also, die die Verbrechen des Holocaust begangen haben? Wir fühlen uns unseren Ahnen zugehörig. Wir sind "Fleisch von ihrem Fleisch". Folglich berühren auch ihre Verbrechen unsere Identität und begründen dadurch Verantwortung. Wir tragen für das, was unsere Ahnen im Guten und im Bösen getan haben, weder Verdienst noch Schuld. Aber wir haben ihre Schuld zu begleichen, weil wir mit ihnen in einer Solidargemeinschaft stehen. Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die Verbrechen und die Ausbeutung in den ehemaligen deutschen Kolonien.
(August 2025) Kulturelle Aneignung
Adidas hat sich im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca für "kulturelle Aneignung" entschuldigt. Im Auftrag der Firma hatte ein US-amerikanischer Designer den Oaxaca Slip-On entworfen und sich dabei an traditionellem Schuhwerk der Ureinwohner in Oaxaca orientiert. Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum hatte diese "Kommerzialisierung einer Tradition ohne die ausdrückliche Zustimmung ihrer Schöpfer:innen" kritisiert.
Wenn man sich für kulturelle Aneignung entschuldigen muss, handelt es sich dabei offenbar um etwas Verwerfliches. Das allerdings vermag ich nicht zu begreifen. Kulturelle Aneignung ist doch geradezu ein Wesensmerkmal jeder wirklich dynamischen Kultur. Eine Kultur, die sich gegen andere Kulturen abschottet und nichts von ihnen lernen will, hört auf Kultur zu sein. Sie wird zur Barbarei.
Auf manchen Abbildungen der Ankunft der spanischen Konquistadoren sieht man die südamerikanischen Ureinwohner unbeschuht und auch sonst nur sehr spärlich bekleidet. Sollten die heutigen Bekleidungssitten der Indios etwa auf kultureller Aneignung spanischer Gebräuche beruhen? Hat eigentlich mal jemand geprüft, ob die inkriminierten Schuhe tatsächlich von den Vorfahren der heutigen Indios in Oaxaca erfunden worden sind und nicht etwa von anderswoher übernommen wurden?
Man kann aber auch noch grundsätzlicher fragen: Ist die Anwendung des Dezimalsystems verwerfliche kulturelle Aneignung, wo doch die Null aus Indien stammt? Hat sich je ein Buchdrucker für sein Handwerk entschuldigt, weil er nicht aus Mainz stammt? Darf man noch die Songs der Rolling Stones hören oder Samba tanzen, wo doch beides ohne die Musik der afrikanischen Sklaven in Amerika nicht denkbar ist? Muss ich mich bei den alten Römern entschuldigen, weil ich diesen Text mit lateinischen Lettern schreibe? Ist die Verwendung des Wortes "fuck" deshalb unangemessen, weil es vulgär ist oder vor allem, weil es sich um kulturelle Aneignung handelt? Überhaupt die Anglizismen: alles kulturelle Aneignung und folglich verboten. Und wie steht es eigentlich mit der vor allem von Entwicklungsländern erhobenen Forderung nach Abschaffung des Patentschutzes für Medikamente? Will da jemand einfach nur ungehindert kulturelle Aneignung betreiben?
(August 2025) Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit
In launiger Runde pflege ich bisweilen der Vermutung Ausdruck zu geben, dass ich aller Erfahrung nach wahrscheinlich unsterblich bin. Denn: In meinem ganzen Leben bin ich noch kein einziges Mal gestorben. Es scheint Menschen zu geben, die diesen Gedankengang ernst nehmen. Jedenfalls lassen einige Äußerungen darauf schließen, die aus Anlass des tödlichen Absturzes der Extrembergsteigerin Laura Dahlmeier im pakistanischen Karakorum Gebirge am 28. Juli in den Medien zu lesen waren. Da fand sich auch ein Statement von Reinhold Messner, der seine lebensgefährlichen "Grenzgänge" im Hochgebirge so erklärte: "Ich gehe dorthin, wo ich umkommen könnte, um nicht umzukommen. Wenn ich nicht umkommen könnte, wäre es nur ein lächerliches Kindergartenspiel."
Wozu aber sollte man hingehen, wo man umkommen könnte, um nicht umzukommen? Offenbar geht es dabei um die Sammlung induktiver Beweise für die eigene Unsterblichkeit. Wenn ich hingehe, wo ich normalerweise eigentlich umkommen müsste, dann aber doch nicht umkomme, dann spricht das dafür, dass ich nicht umkommen kann, weil ich unsterblich bin. Je mehr solcher Beweise man gesammelt hat, um so sicherer ist die Schlussfolgerung. Es muss nicht Todessehnsucht sein, die Menschen dazu bringt, sich ohne Not extremer Lebensgefahr auszusetzen. Es kann auch das Gegenteil sein: die Angst vor dem Tode.